von Birol Kilic
Das Wort und die Wörter sind sehr wichtig. Die Wörter können Brücken bauen aber auch schlagen. Die Wörter können Feuer löschen aber auch Brand stiften bzw. Brand beschleunigen. Die Wörter können Herzen gewinnen aber auch brechen.
Als Österreicher mit türkischen Wurzeln versuche ich ‒ bereits seit über einem Vierteljahrhundert ‒, eine verbindende und tragfähige Brücke zwischen Österreich und der Türkei zu bauen. Das ist eine große Herausforderung. Ich glaube aber, dass es mit vernünftiger und verständlicher Aufklärung möglich ist. Obwohl immer wieder Höhen und Tiefen zu überwinden sind, werden wir auch in Zukunft diesen, vom interkulturellen Dialog und der Mitmenschlichkeit vorgezeichneten Weg gehen!
Die Wörter muss man vorsichtig verwenden, insbesondere wenn es um Außenpolitik geht.
Ein falsches Wort oder falsche Wörter in der Außenpolitik sind nicht leicht zu korrigieren, wie in der Innenpolitik.
Und überhaupt darf man für die Innenpolitik, um Sympathie zu gewinnen oder Stimmen bzw. Wahlen zu gewinnen, oder für das eigene Parteiinteresse, religiöse und persönliche Profilierung, die Außenpolitik nicht missbrauchen.
Die letzten Aussagen im Handelsblatt und die eigentlich noch unnötigeren, harten Aussagen in der Kurier Zeitung des Bundeskanzlers der Republik Österreichs hat Krone heute am 7. September 2020 auf der Titelseite sehr richtig diagnostiziert:
„Scharfe Attacke aus Ankara gegen Kanzler Kurz: Krieg der Worte mit der Türkei“.
Diese Titelseite haben über 2 Millionen Menschen gelesen.
Auch die anderen Zeitungen schreiben nichts anders heute.
Das Wort bleibt in den Köpfen hängen. Nicht nur bei den Einheimischen, sondern auch bei allen MigrantenInnen und insbesondere TürkenInnen in Österreich.
Die TürkenInnen kennen Krieg und Terror in den letzten 50 Jahren, aber Österreich nicht.
Die TürkenInnen kennen Krieg und Terror und sind de facto immun gegenüber Krieg und Terror geworden. Sie wollen keinen Krieg und Terror. Auch ÖsterreicherInnen wollen keinen Krieg und Terror….Aber alles beginnt mit den Worten.
Die Frage ist, braucht man in Österreich in dieser Corona-Zeit aus der österreichischen Innenpolitik, Zusammenleben bzw. Integrationspolitik so eine Vorgehensweise gegenüber den MigrantInnen aus der Türkei unter dem Vorwand, „Wir kritisieren Erdogan AKP Ihvan Moslem Broder Politik gegenüber Griechenland und in Österreich unter den TürkenInnen“ Türkei-Bashing.
Alles wird hier leider vermischt: Türken in Österreich, Integration, EU und Türkei, Türkei-Griechenland, Türkei-EU Beziehungen. Ein Suppe, die wir jetzt auslöffeln müssen…
Alles wird aus einem Atem des Bundeskanzlers Kurz und des Außenministers Schalenberg getätigt, mit einer Portion Drohung, wie wir im Kurier-Interview letzte Woche gelesen haben, durch den Bundeskanzler Kurz persönlich: „Die Türkei ist absolut verwundbar“ (04.09.; Kurier Interview)
Das kommt nicht gut an lieber Herr Bundeskanzler Kurz. Jedes Land ist verwundbar, wie auch Österreich. Woher kommt diese Aussage?
Wir bitten in aller Höflichkeit diese Sprache nicht zu verwenden, weil für uns alle Menschen der Republik Österreich sehr wichtig sind.
Und die Türken verstehen so eine Sprache sehr falsch. Das wollen wir nicht. Sie unterschätzen die Türkei, egal ob sie stark ist oder in Konkurs geht bzw. ein Sumpf wird, was viele sich wünschen. Wenn die Türkei ein Sumpf wird, dann ist es ein Europäischer Unions-Sumpf, und insbesondere wird Österreich in diesen Sumpf mit hineingezogen.
Millionen Menschen in der Türkei sind gegen die AKP Regierung und Erdogan und es lohnt sich diesen Menschen aus der EU Mut zu machen, aber weder die EU noch Herr Bundeskanzler Kurz tut es. Die österreichische Regierung spielt hier unter dem Vorwand „Das gute vorbildliche Musterland der EU“ unabsichtlich den Brandbeschleuniger. Tun Sie das bitte nicht. Das ist nicht gut.
Die Türken in Österreich verstehen das alles de facto als Türkei-Bashing, das man als TürkenInnen-Bashin auch versteht, weil in Österreich ca. 450.000 Menschen aus der Türkei leben und weil der Kanzler und Außenminister nicht direkt AKP-Erdogan Regierung sagen. Tun Sie das bitte nicht. Das ist nicht gut.
Nicht nur das, auch viele Menschen in der Türkei verstehen diese Aussagen mit Vermischungen als Türkei-Bashing oder sogar türkenfeindliche bzw. islamfeindliche Aussagen. Wenn sie nicht aufpassen und Empathie zeigen, wird man das Gleiche tun. Tun Sie das bitte nicht. Das ist nicht gut.
Warum versucht hier die Regierung die Spreu vom Weizen zu trennen?
Ingo Hasewend schreibt heute (7.09.2020) in der Kleinen Zeitung in dem Leitartikel mit dem Titel „Eine Antwort auf Erdogan“ folgendes: „Auch ist Erdogan – bei aller Beliebtheit – nicht „die Türkei“. Immer noch schauen in Izmir und Istanbul viele Türken lieber Richtung Europa, als sich umzudrehen. Wenn Europa sie verstößt, hilft das nur Erdogan. Wachsende enttäuschte Gefühle sollten nicht unterschätzt werden. Das ging schon mit Russland und Putin schief. Auch hier wurde vom gemeinsamen Haus „EU“ gesprochen, ohne erkennbaren Willen. Und wenn Erdogan irgendwann nicht mehr an der Macht ist, hilft der Bruch mehr seinen Linientreuen. Das hat man in einigen Hauptstädten (Annahme: außer Wien) begriffen. Deshalb wird es keine völlige Einigkeit in der EU geben, wie es sich der Kanzler Kurz wünscht.“
Wir stellen nur eine Frage: Was bleibt übrig? Außer Brandbeschleunigung, Brückenabbau und Vorurteilssteigerung gegenüber den Menschen aus der Türkei in Österreich, die man nicht unterschätzen sollte.
Wir schreiben das als Menschen, die seit Jahren die Erdogan und Ankara Regierung scharf kritisieren, insbesondere aufgrund der Auflösung des Rechtsstaates, Gewaltenteilung, Vertrauen in die Demokratie, das Auslöschen der Menschen- und Pressefreiheit. Diese Kritik ist legitim und wird auch von der Mehrheit der Menschen aus der Türkei in Österreich passiv oder aktiv unterstützt. Man muss sie gewinnen, weil die Mehrheit schon österreichischer Staatsbürger ist. Der Rest wird hier auch sterben bzw. ihre restliche Zukunft in Österreich verbringen.
Wir müssen vernünftig sein und vor allem für das Interesse der Republik Österreich und die persönlichen, egoistischen Interessen und Profilierungen über die Türkei bzw. TürkenInnen auf der Seite lassen. Die Zeiten sind vorbei. Die Parteien sind nicht mehr verfassungspatriotisch und brechen Dinge, die unmoralisch sind, wo mit der Zeit Verdorbenheit mit saurem Stinken in der Luft sich in Österreich streut. Riechen Sie das nicht? Tun Sie das bitte nicht. Das ist nicht gut.
Viele Menschen in Österreich aus der Türkei kritisieren seit über 25 Jahren den Einfluss des politisierten Glaubens auf angebliche Moscheen, Vereine und Bewegungen in Österreich, aus welchen die eigentlich reaktionären, klerikal-faschistischen antisäkularen Parteien und Sekten aus der Türkei kommen, die gegen die laizistische, moderne Republik Türkei und deren Verfassung über 50 Jahre eine Kampferfahrung mit der westlichen Hilfe haben.
Wir sprechen von über 450.000 Menschen in Österreich, die aus der Türkei stammen.
Viele sind integriert, beherrschen die deutsche Sprache sehr gut und sind auf der Straße nicht zu unterscheiden.
Diese modernen, einzigartigen Menschen, die aus einem Land namens Türkische Republik stammen, welche zum ersten Mal Laizismus in die Verfassung geschrieben und diesen auch lange Zeit erlebt haben, verstehen auf der anderen Seite besonders die Türkei-Politik der neuen ÖVP nicht.
Was sie nicht verstehen ist, dass die österreichische Regierung vorsätzlich und absichtlich die Türkei gleichsetzt mit der AKP und Erdogan Regierung, und mit ihrer Wortwahl nicht die Spreu vom Weizen trennt, weil die Mehrheit der Menschen in der Türkei nichts mit dieser Regierung zu tun haben wollen und sich in Geiselhaft befinden.
Dieses Türkei-Bashing unter dem Vorwand „wir kritisieren die AKP und Erdogan Regierung“ versteht auch die Mehrheit der Menschen aus der Türkei in Österreich deswegen nicht, weil diese Türkei-Kritik eigentlich eine antitürkische Türkenhass-Sprache subtil in sich beherbergt.
Verwenden die PolitikerInnen diese Sprache um den Türkenhass (Anti-Türkismus) in Österreich andauernd frisch zu halten, damit niemand in Österreich ein türkisches mit Sympathie bzw. Barmherzig ein bisschen behandelt?
Der alte kulturelle Rassismus (Neorassismus) ist in den Köpfen und Seelen anscheinend bei manchen stecken geblieben aber Gottseidank nicht bei allen in Österreich. Man soll die gesamte farbige, türkische Gemeinde in Österreich als Mensch mit Würde, der auch sein Heimatland ohne Erdogan und AKP liebt, akzeptieren.
Sie wollen aber, dass alle Menschen in Österreich pauschal die Türken, die Türkei und ihren Glauben hassen. Das wollen manche österreichische PolitikerInnen unter dem Vorwand „wir kritisieren die Erdogan Regierung“. So wollen sie in ihrer Sprache die gesamte Türkei bestrafen und nützen jede Gelegenheit, um gegenüber der Türkei pauschal zu hetzen, obwohl in der Türkei die Mehrheit leidet und obwohl auch in Österreich die Mehrheit der TürkenInnen genauso leidet.
Österreich muss hier weder zwischen Türkei und Griechenland einseitig hetzen, sondern Brücken Bauen. Wir kritisieren AKP Erdogan Politik, aber auf der anderen Seite müssen wir schreiben: Die EU ignoriert leider die regionalen und legalen Ansprüche und Rechte der Republik Türkei als Garant für die Unabhängigkeit der “Republik Zypern”, neben England und Griechenland, wie in dem London-Zürich-Abkommen von 1960 festgelegt ist. Die EU verliert damit ihre unabhängige Friedensmission und Stabilität als Exporteur! Die EU ignoriert leider die regionalen und legalen Ansprüche und Rechte der Republik Türkei als Garant für die Unabhängigkeit der “Republik Zypern”, neben England und Griechenland, wie in dem London-Zürich-Abkommen von 1960 festgelegt ist. Die EU verliert damit ihre unabhängige Friedensmission und Stabilität als Exporteur!
Wir wollen Frieden zwischen der Türkei und Griechenland. Die Türkei hat im 1. WK, wo Österreich und die Türkei Waffenbrüder waren, einen Befreiungskrieg gegenüber Griechenland, Frankreich, Russland England und Italien, mit Widerstand und Millionen von Toten geführt, der bis heute noch in dem kollektiven Gedächtnis ist. Hier muss österreichische Regierung nicht als Brandbeschleuniger sich auch nicht als neutrales Land in den Brand werfen. Tun Sie das bitte nicht. Das ist nicht gut!
Die österreichische PolitikerInnen reden von syrischen Flüchtlingen, wohingegen die Türkei, ob wir die AKP mögen oder nicht, mit Bundeskanzlerin Merkel einen EU- Türkei Flüchtlingsdeal gemacht hat. Ohne diesen Deal hätten wir in Österreich jetzt ca. 200.000-300.000 Flüchtlinge mehr. Durch diesen Flüchtlingsdeal hat die Türkei ca. 4-5 Millionen Flüchtlinge im Land, die jetzt in die EU und nach Österreich kommen wollen. Die vorherige österreichische Regierung (ÖVP-FPÖ) hat diesen Flüchtlingsdeal nicht verursacht, sondern damals diesen Deal zwischen EU-Türkei in der Innenpolitik, um Stimmen zu gewinnen, leider für sich ausgenützt.
Sie können vielleicht Wahlen gewinnen, aber sie verlieren Menschen, Länder in der Außenpolitik, die wir aus Wien schwer wieder gewinnen werden. Erdogan und AKP Regierung wird ein Ende haben. Aber die Beziehungen, Begegnungen und Wahrnehmungen zwischen Österreich und Türkei werden, wie in den letzten 500 Jahren, intensiv weitergehen. Schaden wir es nicht mehr bitte. Tun Sie das bitte nicht. Das ist nicht gut…
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