Netanyahu: „Jerusalem gehört uns – und wird es bleiben“
Warum Israel Erdoğan will
Türkische Allgemeine, Berlin, 18.09.2025
Der israelische Premierminister Benjamin Netanyahu erklärte bei einer internationalen Konferenz in Jerusalem, an der auch US-Außenminister Antony Blinken teilnahm, in einer weltweit übertragenen Live-Botschaft: „Jerusalem gehört uns – und wird es bleiben.“ Die direkte Ansprache an den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan wurde von Beobachtern als gezielte Provokation gewertet, insbesondere angesichts der sensiblen religiösen und politischen Bedeutung der Stadt.
Ein symbolträchtiges Geschenk: Emanname für Erdoğan
Kurz nach Netanyahus Erklärung empfing Präsident Erdoğan den griechisch-orthodoxen Patriarchen von Jerusalem, Theofilos Giannopoulos, in seinem Arbeitsbüro in Dolmabahçe. Giannopoulos überreichte Erdoğan ein gerahmtes Dokument: die sogenannte „Emanname“ – ein historisches Schutzversprechen, das Kalif Omar ibn al-Chattab nach der friedlichen Eroberung Jerusalems im Jahr 638 dem byzantinischen Patriarchen Sophronios übergab.
Wer ist Giannopoulos?
Theofilos Giannopoulos ist seit 2005 Patriarch der griechisch-orthodoxen Kirche von Jerusalem. Geboren in Griechenland, gilt er als höchste geistliche Autorität für die christlichen Heiligtümer in der Stadt. Seine Rolle umfasst nicht nur religiöse Aufgaben, sondern auch diplomatische Verantwortung gegenüber anderen Konfessionen und Staaten.
Die Emanname: Schutz für Christen und ihre Heiligtümer
Die Emanname ist ein historisches Dokument, das nach dem Einzug von Kalif Omar in Jerusalem entstand. Es garantiert den christlichen Bewohnern der Stadt sowie ihren religiösen Stätten – darunter die Grabeskirche, die Geburtskirche in Bethlehem und weitere heilige Orte – Schutz und freie Religionsausübung. Die Vereinbarung wurde in Anwesenheit bedeutender Gefährten des Propheten Muhammad übergeben und enthält unter anderem folgende Punkte:
• Alle christlichen Geistlichen und Gemeinden stehen unter muslimischem Schutz, solange sie sich an die Bedingungen des Vertrags halten.
• Die christlichen Heiligtümer dürfen nicht beschädigt oder enteignet werden.
• Besuchern der Grabeskirche dürfen keine Gebühren auferlegt werden, mit Ausnahme einer symbolischen Abgabe für bestimmte Gruppen.
• Die christlichen Gemeinschaften – darunter Kopten, Armenier, Syrer, Äthiopier und andere – unterstehen dem Schutz des Patriarchen Sophronios.
• Wer gegen diese Vereinbarung verstößt, „bricht Gottes Bund und widersetzt sich Seinem Gesandten“, heißt es in der Schlussformel.
Politische Botschaft zwischen den Zeilen
Das Geschenk von Giannopoulos an Erdoğan ist mehr als eine höfliche Geste. Es erinnert an eine Zeit, in der religiöse Toleranz und gegenseitiger Respekt in Jerusalem praktiziert wurden. Inmitten der aktuellen Spannungen um die Zukunft der Stadt sendet die Emanname eine stille, aber kraftvolle Botschaft: Jerusalem gehört nicht nur einer Nation oder Religion, sondern ist ein gemeinsames Erbe der Menschheit.
Erdoğan bleibt zurückhaltend
Präsident Erdoğan nahm das Geschenk mit sichtbarem Respekt entgegen, äußerte sich jedoch nicht direkt zu Netanyahus Aussagen. Die Türkei verfolgt traditionell eine Politik, die den multireligiösen Charakter Jerusalems betont und sich für den Schutz islamischer sowie christlicher Heiligtümer einsetzt.
Warum Israel Erdoğan will – Analyse von Levent Gültekin
Levent Gültekin über die Jerusalem-Kontroverse zwischen Erdoğan und Netanyahu
(Aus der Sendung „Die Regierung ist unzureichend!“ – YouTube, 17. September 2025)
Der Journalist Levent Gültekin argumentiert in den ersten 15 Minuten seiner Sendung, dass Israel Präsident Erdoğan nicht trotz, sondern gerade wegen seiner Rhetorik und Politik bevorzugt. Laut Gültekin dient Erdoğan für Israel als idealer Gegenspieler: laut, konfrontativ, aber letztlich berechenbar und funktional.
Er führt aus, dass Erdoğan zwar regelmäßig die israelische Regierung kritisiert, insbesondere im Zusammenhang mit Gaza und Jerusalem, jedoch gleichzeitig die wirtschaftlichen und diplomatischen Beziehungen nie ernsthaft gefährdet. Die Handelsbeziehungen zwischen beiden Ländern florieren, militärische Kooperationen bestehen weiterhin, und auch die Geheimdienste beider Staaten arbeiten punktuell zusammen.
Gültekin betont, dass Israel von Erdoğans polarisierender Rhetorik profitiert: Sie stärkt Netanyahus Position im eigenen Land, indem sie ein klares Feindbild liefert, während Erdoğan seinerseits die islamische Welt rhetorisch mobilisiert, ohne konkrete politische Konsequenzen folgen zu lassen. Diese gegenseitige Inszenierung stabilisiere die Machtverhältnisse beider Führer.
Er nennt Erdoğan einen „kontrollierten Gegner“, der zwar laut widerspricht, aber nie wirklich stört. Für Israel sei dies besser als ein ruhiger, diplomatisch versierter türkischer Staatschef, der mit internationaler Unterstützung konkrete politische Schritte gegen israelische Politik unternehmen könnte.
Gültekin schließt mit der Feststellung: „Erdoğan ist für Israel nützlich – nicht weil er schweigt, sondern weil er genau so spricht, wie sie es brauchen.“
(Türkische Allgemeine, 18.09.2025)
Quelle:
• ABC News – Rubio and Netanyahu meet in Israel A
• U.S. State Department – Joint Press Availability
.Levent Gültekin über die Jerusalem-Kontroverse zwischen Erdoğan und Netanyahu
(Aus der Sendung „Die Regierung ist unzureichend!“ – YouTube, 17. September 2025)


