Köln, 31.07.2025 von Ahmet Özay
Am 25. März 2024 wurde der rechtsextreme Rassist Daniel Szalla im zweiten Solinger Prozess, in dem vier bulgarische Staatsbürger türkischer Herkunft verbrannt wurden, zu lebenslanger Haft verurteilt. Das Gericht argumentierte jedoch, dass Szalla die Morde nicht aus rassistischen Gründen begangen habe. In der letzten Verhandlung wurde die Zahl der Zuschauer:innen auf 22 begrenzt undst die deutsche Justiz auf dem rechten Auge blind? Der Düsseldorfer Generalkonsul Ali İhsan İzbul wurde nicht in den Saal gelassen. Er konnte die Verhandlung nur verfolgen, weil ihm einer der türkischen Zuschauer seinen Platz überließ.


Im letzten Solingen-Brandanschlagprozess, der seit Februar vor dem Landgericht Wuppertal verhandelt wurde und bei dem vier bulgarischstämmige Türken ums Leben kamen, wurde der rassistische Angeklagte zu lebenslanger Haft verurteilt. Die Ereignisse während des insgesamt 21-tägigen Prozesses ließen jedoch die Frage aufkommen: „Ist die deutsche Justiz blind?”
Die vom zuständigen Staatsanwalt beantragte schwere Freiheitsstrafe für den Angeklagten Daniel Szalla wegen der Brandstiftung vom 25. März 2024 wurde vom Gericht bestätigt. Das Gericht verkündete sein Urteil auf Antrag der Staatsanwaltschaft, die behauptete, der Angeklagte habe die Tat nicht aus rassistischen Motiven begangen. Für drei weitere Brandstiftungen, die während des Prozesses bekannt wurden und die Daniel Szalla gestanden hat, wurde der Angeklagte jeweils zu zwei Jahren Haft verurteilt.
Die Verhandlung bleibt aufgrund zahlreicher Informationen, Dokumente, Bilder und Aussagen, gelöschter Beweise und verschwundener Berichte in Erinnerung. Die rechtsextreme Identität des Angeklagten, die von den Sicherheitsbehörden verschleiert worden war, wurde von den Anwälten der türkischen Familien aufgedeckt. Außerdem wurde deutlich, dass der Brandstifter aller vier Brände ein Rassist war. Trotzdem zogen es sowohl die deutsche Polizei als auch die zuständige Staatsanwaltschaft vor, die Brandstiftungen als „Einzelfälle und Persönlichkeitsstörungen” abzutun.

ABRECHNUNG MIT FEUER
Die Abrechnung mit Feuer oder die Verwendung von Feuer als Mittel der Bestrafung hat in der katholischen Welt eine jahrhundertelange Tradition. Feuer war zeitweise Teil des kirchlichen Rechtsprozesses.
Heute existiert „Feuer” im sozialen Sinne als Mittel der Rache in den Händen rassistischer Fanatiker, die sich vom Einfluss blutiger Traumata der Geschichte nicht befreien können.
Die Sicherheitsbehörden, die auf diese Fehlfunktion der Gesellschaft vorbereitet sind, lassen keine Maßnahme aus, um das „Feuer” des Rassismus zu löschen.
In solchen Fällen werden im Laufe der Ermittlungen Beweise aussortiert und Protokolle gehen verloren. Dem Staatsanwalt wird ein Profil des Verdächtigen vorgelegt, das soziale und politische Aspekte ausblendet und sich auf persönliche Probleme beschränkt.
Das Ziel besteht darin, eine Weiterleitung der Akte an die Bundesanwaltschaft wegen vorsätzlicher Brandstiftung zu verhindern. Andernfalls würde sich das Verfahren zu einem Terrorprozess entwickeln.
Es würde zu einem gesellschaftlichen Ereignis werden und internationale Dimensionen annehmen. Deutschland würde erneut blamiert werden.
Anwesend sind der Generalkonsul von Düsseldorf, Ali İhsan İzbul, Anwälte und Angehörige der Opfer.

ERSTE ERKLÄRUNG
Zu Beginn der Ermittlungen zur Brandstiftung im März 2024 hatte der zuständige Staatsanwalt erklärt, es gebe keinen rassistischen Hintergrund für die Tat, und die Ermittlungen entsprechend ausgerichtet.
Zu dieser Zeit war Bundespräsident Franz Walter Steinmeier in Istanbul. In seiner Rede vor Präsident Erdoğan sagte er: „Ich hätte nicht gedacht, dass sich 30 Jahre später erneut ein Vorfall wie in Solingen ereignen würde.“ Damit erklärte er, dass das Motiv für die zweite Brandstiftung dasselbe sei wie für die erste. Steinmeier war als Minister für die Koordinierung der deutschen Geheimdienste zuständig. Ein Versprecher war daher ausgeschlossen.
Nach Beginn der Gerichtsverhandlungen wurden nach und nach Beweise von den Anwälten der türkischen Familien vernichtet, Spuren beseitigt und Berichte verschwanden. Zudem wurde die rechtsextreme Identität des Angeklagten Daniel Szalla durch die Justiz verschleiert. Außerdem wurde bekannt, dass der Angeklagte ein rassistischer Brandstifter war, der vier Brände gelegt hatte. Die deutsche Polizei und der zuständige Staatsanwalt hatten den Fall jedoch als Streit zwischen Mieter und Vermieter dargestellt. Sie hatten die Brandstiftung als Einzelfall abgetan.
Im Laufe des Prozesses legten die Anwälte der türkischen Familien neue Beweise vor.
Im April reichte die Anwältin von Ayşe und Nihat Kostadincheva, die bei dem Brand in dem Gebäude schwer verletzt wurden, einen Antrag beim Gericht ein. Sie wies darauf hin, dass der Angeklagte neben der Brandstiftung auch Probleme mit Ausländern hatte, die der Polizei gemeldet worden waren. Sie beantragte, zwei ausländische Zeugen, darunter einen Marokkaner, vor Gericht zu laden. Der Richter lehnte diesen Antrag ab.
Bei dem Brand in dem vierstöckigen Gebäude in Solingen kamen vier Menschen türkischer Herkunft ums Leben, darunter zwei Kinder. Neun Menschen wurden verletzt.

VIERTER BRANDANSCHLAG
Farce: De facto eine innige Freundschaft (auf Türkisch: „Al takke ver külah”).
Zwei Monate später wurde die Anhörung des marokkanischen Zeugen zugelassen. Dieser erklärte vor Gericht, dass er in der Vergangenheit mit Jesica Breuer, der Freundin des Angeklagten Daniel Szalla, im selben Gebäude gewohnt habe. Er wies darauf hin, dass der Mörder und seine Freundin aus dem Gebäude ausgezogen seien und dieses am 25. Januar 2022 in Brand gesteckt worden war. Er betonte, dass die Garten- und Eingangstüren des Gebäudes von außen verschlossen gewesen seien, als die Bewohner:innen während des Brandes fliehen wollten. Vor beiden Türen war jeweils eine Gasflasche abgestellt worden. Kurz gesagt, es handelte sich um einen geplanten Mord. Trotz aller Beweise hat die Wuppertaler Polizei den Angeklagten nicht vernommen. Es wurde kein Sachverständiger zum Tatort gerufen. Die Brandstiftung wurde als „Kurzschluss“ gemeldet. Nachdem der Staatsanwalt die Aussage des marokkanischen Zeugen gehört hatte, musste er diese in die Akte des Verdächtigen aufnehmen. Der Verdächtige hatte zuvor bereits ein Haus chinesischer Eigentümer in der Nähe des Hauses der türkischen Familie in Brand gesetzt. In einer Zwischenentscheidung wurde der Wuppertaler Polizei die Ermittlungsbefugnis entzogen und der Polizei in Hagen übertragen, um die neuen Erkenntnisse zu untersuchen.
Denn die Missstände bei der Wuppertaler Polizei nahmen kein Ende. Als schließlich die Beweise ausgewertet und die Zeugen angehört wurden, stellte sich heraus, dass der Angeklagte auch dieses Gebäude in Brand gesetzt hatte.
EINER VON 25
Fatih Zingal, der die bulgarisch-türkische Familie Zhilov vertritt, die vier Angehörige verloren hat, sagte gegenüber Yeni Şafak: „Ich bin seit 25 Jahren Rechtsanwalt. Der Gerichtsprozess ist für mich eine Premiere.
Die Polizei sammelt Beweise und legt sie dem Staatsanwalt vor. Der Staatsanwalt erstellt die Anklageschrift. Hier war das nicht der Fall. Die Beweise wurden vernichtet. Der Polizeibericht, in dem der Angeklagte als „rechtsextrem“ bezeichnet wurde, ist verschwunden. Das Gericht nahm die Social-Media-Beiträge und Computeraufzeichnungen des Angeklagten unter Berufung auf die „Privatsphäre” nicht in die Prozessakte auf.
Allerdings wurde bekannt, dass sich auf dem Computer des Angeklagten neonazistisches Material befand.
Nach dem vierten Brandanschlag des Mörders gaben die Anwälte der türkischen Familien eine Erklärung ab, in der sie die Rechtsverstöße im Zusammenhang mit dem zweiten Anschlag von Solingen öffentlich machten. Die Frankfurter Anwältin Seda Başay Yıldız sagte: „Ich bin mir sicher, dass die Brandstiftung eindeutig aus rassistischen Motiven begangen wurde. In allen Häusern, die der Angeklagte in Brand gesetzt hat, lebten Ausländer:innen. Bei dem zuletzt aufgedeckten Vorfall ist die Polizei nicht zum Tatort gefahren, hat keine Zeugen befragt und keine Sachverständigen hinzugezogen.“
Letztendlich entschied sich der Staatsanwalt jedoch, den Sachverständigenbericht zu berücksichtigen, und kam zu der umstrittenen Einschätzung: „Der Angeklagte ist zwar ein Mörder, der Gebäude von Ausländer:innen in Brand gesetzt hat, aber er hat die Brände nicht aus rassistischen Motiven gelegt. Der Grund für die Brandstiftung ist in seiner Lebensgeschichte zu suchen.“
Gerechtigkeit wurde verletzt
Adnan Menderes Erdal, der während der Ermittlungen die bulgarisch-türkische Familie vertreten hatte, betonte, dass der in Wuppertal zu Ende gegangene Prozess voller Ungereimtheiten sei, die in der deutschen Rechtsgeschichte beispiellos seien. Er bezeichnete den Prozess als Skandal und führte aus: „Unmittelbar nach der Brandstiftung in Solingen erklärte der zuständige Staatsanwalt in Wuppertal, es liege kein fremdenfeindliches Motiv vor. Ich habe den Staatsanwalt öffentlich kritisiert und erklärt, dass seine Erklärung falsch sei, da er eine solche Erklärung nicht vor Abschluss der Ermittlungen, sondern erst nach deren Abschluss hätte abgeben dürfen. Der Staatsanwalt wollte die Motive des Verdächtigen bewusst oder vorsätzlich verschleiern. Das ist ihm auch gelungen. Die Polizeibehörde spielte dabei eine ähnliche Rolle. Auch wenn sie bewusst und absichtlich die fremdenfeindliche Motivation des Täters verschleiern wollten, ist alles vor der Öffentlichkeit geschehen. Da der Angeklagte nicht vor den Bundesgerichtshof gestellt wurde, kam es zu diesem Ergebnis und die deutsche Justiz hat einen schweren Schlag erlitten.“
KEIN PLATZ FÜR DEN KONSUL
Der letzte Verhandlungstag wurde auch vom türkischen Generalkonsul in Düsseldorf, Ali İhsan İzbul, in Wuppertal verfolgt. Da die Zahl der Zuschauer im Gerichtssaal aus „Platzmangel“ auf 22 begrenzt worden war, konnte der Generalkonsul den Gerichtssaal zunächst nicht betreten. Erst als einer der türkischen Zuschauer seinen Platz räumte, konnte Izbul den Gerichtssaal betreten. Diese Haltung des Gerichts stieß bei den türkischen Zuschauer:innen auf Ablehnung.
In der Nacht vom 25. März 2024 kamen bei einem Brandanschlag in Solingen der bulgarisch-türkische Vater Ismail Zhilov (29), seine Frau Kıymet Zhilov sowie ihre Kinder Gizem (3) und Elis (5) ums Leben.
Der zweite Vorfall von Solingen endete für die türkische Gemeinschaft mit drei wichtigen Lehren:
Erstens konnte die Brandstiftung dank der Entschlossenheit der Türkei nicht vertuscht werden.
Zweitens wurde deutlich, dass Bulgarien auch im 21. Jahrhundert seine Bürger:innen türkischer Herkunft herabwürdigt. Denn die bulgarischen Behörden in Deutschland zogen es vor, den Verhandlungen fernzubleiben.
Drittens zeigt der „Zweite Solinger Brandanschlag”, das dieser Fall als letzter in die Rechtsgeschichte eingegangen ist, in dem die deutsche Justiz „blind für die rechte Seite” war.
(Ahmet Özay, Köln, 29.07.2025)


