Farce oder Heuchelei?

Das jüdisch-christliche Erbe

Der Journalist und Publizist Heribert Prantl schreibt in dem Artikel „Missbrauch der Juden durch die Politik“ der Süddeutschen Zeitung folgendes: „Bei der christlich-jüdischen Tradition handelt es sich aber um eine gewaltige Heuchelei“.(1) Der Kulturkampfbegriff der „christlich-jüdischen Tradition“ des Abendlandes klingt nüchtern betrachtet und genauer untersucht wie eine Farce die man gerne verwendet. Die römisch-katholische Kirche verwendet es fast nicht, aber der niederländische Rechtspopulist Geert Wilders immer. Warum?

Eine Analyse von Birol Kilic

Es ist sehr bedenklich wenn sich auch Geert Wilders in der Hofburg am 27.03.2015 auf das „jüdisch-christliche Erbe“ beruft und den Islam und seine Angehörigen (1,3 Milliarden Menschen) pauschal stigmatisiert und diffamiert. Nach Hetze gegen Arbeitsmigranten aus Bulgarien, Rumänien und Polen nannten ihn Politiker und Intellektuelle in den Niederlanden einen Brandstifter. Der Kulturkampfbegriff der „christlich-jüdischen Tradition des Abendlandes“ ist nämlich eine Farce die auch Niederwimmer verwendet.

Passende Worte dazu fand dereinst der Journalist und Publizist Heribert Prantl in dem Artikel „Missbrauch der Juden durch die Politik“ in der Süddeutschen Zeitung: „Beim Reden von der christlich-jüdischen Tradition handelt es sich aber um eine gewaltige Heuchelei. Die deutsche Politik drückt die alte, früher stigmatisierte Minderheit der Juden an die Brust, um die neue Minderheit, die Muslime, zu stigmatisieren. Die Juden werden missbraucht, um die Muslime pauschal als unverträglich zu kennzeichnen. Eingeführt hat diese Unwortkombination wahrscheinlich der blonde Holländer Geert Wilders. In seinen pathetischen Reden betonte er geradezu beschwörend, dass wir Europäer unser christlich-jüdisches Erbe vor der Islamisierung verteidigen müssten. So innig wie heute war die Beziehung zwischen Christen und Juden in Deutschland noch nie. Die neue Innigkeit ist nicht von Theologen und Pastoralklerikern ausgerufen worden, sondern von Politikern. Im Jahr 72 nach der Reichspogromnacht haben sie etwas entdeckt, was es nicht gibt: eine christlich-jüdische Tradition, eine gemeinsame Kultur. Die christlich-jüdische Geschichte besteht vor allem in der Verfolgung, Vertreibung und Vernichtung der Juden und in der Verketzerung des Talmudes. Und wo es gemeinsame Wurzeln gab, hat die Mehrheitsgesellschaft sie ausgerissen. Wenn Juden anerkannt wurden, dann nach ihrem Übertritt zum Christentum. Und dieses Christentum hat bis in die jüngste Vergangenheit nicht die Gemeinsamkeit der Heiligen Schrift, sondern den Triumph des Neuen über das Alte Testament gepredigt. Zum 72. Jahrestag der Reichspogromnacht wird eine neue Kategorisierung der Minderheiten propagiert (nicht nur von scharfen Islamkritikern wie Geert Wilders und Thilo Sarrazin): in gute und schlechte, in kluge und dumme Minderheiten. Diese Sortierung wird nicht dadurch besser, dass muslimische Milieus oft sehr antisemitisch sind. Weil aber dieser Antisemitismus von der deutschen Mehrheitsgesellschaft lange kaum beachtet wurde, gibt es in jüdischen Gemeinden Sympathien für die gesellschaftliche Ausgrenzung deutscher Muslime.“

Eine Erfindung der europäischen Moderne?

Es können viele historische Beispiele angeführt werden, die eine christlich-jüdische Tradition in Deutschland ad absurdum führen. Die jüdische Philosophin Almut Shulamit Bruckstein Coruh kann, wie viele andere Juden, eine christlich-jüdische Tradition in Deutschland nicht nachvollziehen. Hierzu meint sie: „Nein, es gab keine jüdisch-christliche Tradition, sie ist eine Erfindung der europäischen Moderne und ein Lieblingskind der traumatisierten Deutschen.“

Was das „Judentum und Christentum“ eint und trennt

Zigtausende Bücher, Beiträge und Artikel beleuchten seit beinahe zweitausend Jahren das Verhältnis zwischen Judentum und Christentum. Anbei ein paar wenige Streiflichter der Kirchenzeitung am Sonntag. Wenn das Verhältnis von Judentum und Christentum vereinfacht auf einen Punkt gebracht werden soll, so lautet der Kernsatz des jüdischen Religionswissenschaftlers Schalom Ben Chorin: „Der  Jesus Glaube an  Gott einigt uns… aber der Glaube an Jesu trennt uns.“

Was ist damit gemeint? Jesus war Jude, seine Mutter war Jüdin, die zwölf Aposteln waren Juden. Und doch trennt die Frage des Messias Christen und Juden erheblich. Die Juden hoffen noch immer auf das Kommen des Messias bzw. auf eine messianische Zeit. Die Christen Glauben an Jesus als Messias, dass Gott mit Hilfe von Jesus Christus den Christen solidarisch geworden ist. Sie erwarten seine Wiederkunft, sein Kommen in Herrlichkeit.

Der Talmud gibt dem heutigen Judentum sein Gesicht

Aus jüdischer Sicht muss es wie ein Hohn klingen, wenn deutsche Politiker von christlich-jüdischer Tradition sprechen. Der freie Journalist Gerald Beyrodt lehnt die Verbindung von christlich-jüdischem ebenso ab: „Sicher teilen Juden und Christen die Zehn Gebote und die hebräische Bibel. Sicher wäre es auch ganz nett, wenn Politiker weniger bedenkenlos von den ‚christlichen Zehn Geboten’ reden würden als in der Vergangenheit. Doch 2000 Jahre jüdische Religionsphilosophie sind in Europa weitgehend unbekannt. Der Talmud gibt dem heutigen Judentum sein Gesicht. Christen haben ihn jahrhundertelang ignoriert, verfemt und immer wieder verboten. Jüdische Kultur blieb der Mehrheitsgesellschaft verborgen, weil sie nichts davon wissen wollte. Stattdessen hat sie Juden jahrhundertelang mit absurden Vorwürfen belegt: Dass sie Hostien schänden, dass sie christliche Kinder töten und zu Mazze-Broten verarbeiten und an Pessach genüsslich verspeisen.“

An der südlichen Außenfassade der Stadtkirche zu Wittenbberg, die als Mutterkirche der Reformation gilt, ist eine sogenannte „Judensau“ zu sehen. Das Spottrelief zeigt einen Rabbiner, der einem Schwein unter den Schwanz schaut. Mehrere Juden saugen zudem an den Zitzen des Tieres. Das Bild ist ein bösartiger Angriff auf die Juden und ihren Glauben. 1988 wurde im Auftrag der Stadtkirchengemeinde unterhalb der Darstellung eine Gedenkplatte in den Boden eingelassen. Sie soll auf die historischen Folgen des Judenhasses aufmerksam machen. Wissenschaftler unterscheiden zwischen dem religiös motivierten Judenhass des Mittelalters und dem modernen, von einer biologischen Rassentheorie geprägten, Antisemitismus aus dem 19. Jahrhundert. Auf diesen konnten sich Nationalsozialisten und deutsche Christen berufen. Kein Zufall, dass ein Thüringer Landesbischof 1938 darauf hinwies, dass die Synagogen in der Nacht auf den 10. November, Luthers Geburtstag, brannten. Und Julius Streicher, Herausgeber der Hetzschrift „Der Stürmer“, versuchte sich bei den Nürnberger Prozessen damit zu rechtfertigten, dass an seiner Stelle auch Martin Luther vor dem Tribunal hätte stehen können. (2)

Martin Luther war ohne jeden Zweifel ein theologisches und sprachschöpferisches Genie, sowie ein bedeutender politischer Denker, eine Figur von welthistorischer Wucht wie nur wenige seinesgleichen. Dass der, von ihm immer wieder stark gemachte, Gegensatz von „Evangelium und Gesetz“ – hier die in Christus widerfahrene Gnade, dort die Härte der in der Thora angedrohten Weisungen – den christlichen Antijudaismus weiter verstärkte und zuspitzte, wird dadurch, dass er in einer frühen Schrift feststellte, dass Jesus ein geborener Jude war, keineswegs gemildert. (3)

Zentralrat der Juden in Deutschland

Bei den Juden in Deutschland herrscht keineswegs die Vorstellung einer christlich-jüdischen Tradition Deutschlands. So kann man auf der Website des Zentralrats der Juden in Deutschland Folgendes lesen: „Historisch gesehen wurde die deutsche Identität nicht nur von der deutschen Sprache und Kultur, sondern auch von der christlichen Religion geprägt. Wer außerhalb dieser Parameter stand, wurde als fremd empfunden, und kaum eine andere Bevölkerungsgruppe erlebte das schmerzvoller als Juden, deren Präsenz auf deutschem Boden seit der Zeitenwende datiert. Das tragische Ende der jüdischen Bestrebungen um Aufnahme ins deutsche Volk ist bekannt.“  Die Juden sehen Deutschlands kulturelle Wurzeln keineswegs im Judentum. Ihnen sind vielmehr die Verbrechen Deutschlands an den Juden präsent.

 

 

 

Artikel:

(1) „Die Grünen und das Ende der freien Gesellschaft“
http://diepresse.com/home/5260288/

(2)  https://www.welt.de/sonderthemen/luther-2017/article159060014/Traegt-Martin-Luther-eine-Mitschuld-am-Voelkermord.html

https://www.welt.de/sonderthemen/luther-2017/article159060014/Traegt-Martin-Luther-eine-Mitschuld-am-Voelkermord.html

(3)

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