Die Flexibilität der slawischen Muslime

Wenn in Restelica am Morgen die Schulglocken läuten, trennen sich die Kinder. Die einen im abgelegenen Dorf am Südwestzipfel Kosovos gehen in Klassenzimmer, in denen in bosnischer Sprache unterrichtet wird, die anderen in solche mit serbischer Sprache. Zwar unterscheiden sich Bosnisch und Serbisch kaum voneinander. Auch sprechen hier, an der Grenze zu Albanien und Mazedonien, alle Kinder dasselbe lokale Idiom, einen serbisch-mazedonischen Übergangsdialekt.

Dennoch hat die Wahl der Unterrichtssprache weitreichende Folgen: Sie entscheidet darüber, ob nach dem Curriculum der Republik Kosovo oder dem serbischen Lehrplan unterrichtet wird. Entsprechend gross sind die inhaltlichen Unterschiede, insbesondere in den sogenannten nationalen Fächern. Dazu zählen Geschichte, Geografie, Sprache, Literatur und Religion. Was die einen über die Vergangenheit Serbiens, Kosovos, Jugoslawiens oder des Osmanischen Reichs zu hören bekommen, hat nur wenig mit dem zu tun, was den anderen vermittelt wird.

Konvertierte Christen

Die Trennung der Kinder in der Schule ist Ausdruck der politischen Spaltung in der lokalen muslimischen Bevölkerung. Die Eltern, die ihre Kinder in bosnische Klassen schicken, bezeichnen sich selber, wie die Muslime slawischer Herkunft in Bosnien-Herzegowina, als Bosniaken. Die Eltern, deren Kinder in serbischer Sprache unterrichtet werden, definieren sich als Goraner im ethnischen Sinn, nicht als Serben, wie man das erwarten könnte. Das Wort leitet sich von «Gora» (Berg) ab, der Bezeichnung für die Region, in der sie leben. Beide, die Bosniaken und die Goraner, sind überzeugt davon, dass sie nur so ihre besondere Identität gegen alle äusseren Anfechtungen bewahren können.

Noch etwas ist allen gemeinsam: Sie sind Muslime slawischer Herkunft, deren Vorfahren im Laufe der fünfhundertjährigen Herrschaft der Osmanen vom Christentum zum Islam konvertierten. Seit der Bildung ethnisch definierter Nationalstaaten auf dem Balkan im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts wurden die Bewohner der Gora von anderen Nationen vereinnahmt: von den Albanern auf der Basis der gemeinsamen islamischen Religion, von den Serben und den Mazedoniern wegen der slawischen Sprache.

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